Überstunden kann man schätzen, Urteil des BAG vom 25.03.2015, Arbeitsrecht

Das Gericht kann Überstunden schätzen, wenn der Arbeitnehmer nicht jede einzelne Überstunde beweisen kann: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.03.2015, 5 AZR 602/13

 

Das Gericht kann Überstunden schätzen, wenn der Arbeitnehmer nicht jede einzelne Überstunde beweisen kann: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.03.2015, 5 AZR 602/13 Häufiges Thema im Rahmen von Lohnklagen ist, dass der Arbeitnehmer die Bezahlung der von ihm geleisteten Überstunden fordert. Hier ist grundsätzlich der Arbeitnehmer in der Beweislast. Behauptet er, mehr als die im Arbeits- oder Tarifvertrag geleisteten Stunden erbracht zu haben, also Überstunden geleistet zu haben, ist er in der Pflicht, nachzuweisen, sowohl dass er die behaupteten Überstunden erbracht hat sowie auch, dass der Arbeitgeber diese Überstunden angeordnet hat. Angeben muss der Arbeitnehmer hierzu das genaue Datum, die Uhrzeit, die Arbeitsaufgaben die er in den Überstunden zu erbringen hatte, sowie auf welche Art und durch wen die Überstunden angeordnet wurden. Oftmals scheitern an dieser Beweislastverteilung die Klagen der Arbeitnehmer, denn der Arbeitgeber wird die Ableistung der Mehrarbeit schlicht bestreiten und dem Arbeitnehmer fehlen oft schlicht die Möglichkeiten, die Stunden zuverlässig nachzuweisen. Hier hilft nach Ansicht des BAG dem Arbeitnehmer § 287 ZPO. Nach diesem kann das erkennende Gericht in Ausnahmefällen sogar bei vertraglichen Ansprüchen Schätzungen vornehmen, und zwar dann, wenn „unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.“ (§ 287 Abs. 2 ZPO) Diese Regelung findet auf die vorbeschriebene Situation dann Anwendung, wenn der Arbeitnehmer darlegen kann bzw. zwischen den Parteien unstrittig ist, dass Überstunden geleistet wurden, jedoch nicht abschließend klärbar ist, in welchem Umfang. Im Wesentlichen formuliert das BAG im oben zitierten Urteil hierzu: „Nach diesen Grundsätzen kommt eine „Überstundenschätzung“ in Betracht, wenn aufgrund unstreitigen Parteivorbringens, eigenem Sachvortrag des Arbeitgebers oder dem vom Tatrichter nach § 286 Abs. 1 ZPO für wahr erachteten Sachvortrag des Arbeitnehmers feststeht, dass Überstunden geleistet wurden, weil die dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugewiesene Arbeit generell oder zumindest im Streitzeitraum nicht ohne die Leistung von Überstunden zu erbringen war. Kann in einem solchen Falle der Arbeitnehmer nicht jede einzelne Überstunde belegen (etwa weil zeitnahe Arbeitszeitaufschriebe fehlen, überhaupt der Arbeitgeber das zeitliche Maß der Arbeit nicht kontrolliert hat oder Zeugen nicht zur Verfügung stehen), kann und muss der Tatrichter nach pflichtgemäßen Ermessen das Mindestmaß geleisteter Überstunden schätzen, sofern dafür ausreichende Anknüpfungstatsachen vorliegen. Jedenfalls ist es nicht gerechtfertigt, dem aufgrund des vom Arbeitgeber zugewiesenen Umfangs der Arbeit im Grundsatz berechtigten Arbeitnehmer jede Überstundenvergütung zu versagen (vgl. BAG 21. Mai 1980 - 5 AZR 194/78 - zu 4 a der Gründe; BGH 17. De­zem­ber 2014 - VIII ZR 88/13 - Rn. 46).“ Ob dies für die Praxis tatsächlich eine Beweiserleichterung für den Arbeitnehmer mit sich bringt, mag bezweifelt werden, denn die Ableistung von 0,5 Überstunden am Tag wurde von der Gegenseite im streitgegenständlichen Fall in einer Vorinstanz bereits zugestanden. Auch erscheint fraglich, anhand welcher Kriterien die Instanzgerichte werden bewerten können, in welchem Zeitraum die zugewiesene Arbeit tatsächlich zu schaffen gewesen wäre. Allenfalls in Extremfällen mag dieser Rechtsprechung zukünftig Bedeutung zukommen.